P. Zimmermann: Armut und Bischofsherrschaft

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Titel
Armut und Bischofsherrschaft. Bischöfliche Fürsorge in der Merowingerzeit


Autor(en)
Zimmermann, Philip
Reihe
Vorträge und Forschungen. Sonderbände
Erschienen
Ostfildern 2022: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
266 S.
Preis
€ 38,00
von
Laury Sarti

Die merowingische Bischofsherrschaft war das Ergebnis der Gegebenheiten im spätantiken Gallien, ein Thema, das bereits Gegenstand mehrerer monographischer Untersuchungen war, allen voran die bereits etwas betagten, aber immer noch wertvollen Studien von Martin Heinzelmann (Bischofsherrschaft in Gallien, 1976) und Georg Scheibelreiter (Der Bischof in merowingischer Zeit, 1983). Die hier zu besprechende Arbeit ist die überarbeitete Fassung einer Dissertation, die 2017 an der Universität Zürich angenommen wurde und sich dem genannten Thema widmet, indem nach der mittelalterlichen Wahrnehmung von Armut und den Funktionen der zu deren Linderung geleisteten bischöflichen Fürsorge gefragt wird.

Die quellenbasierte Untersuchung ist in drei Hauptkapitel gegliedert, welche sich der bischöflichen Definition von caritas und Armenfürsorge (S. 25–92), den religiösen Grundlagen und zeitgenössischen Rechtfertigungen für diese (S. 93–198) sowie der damit verbundenen Organisation widmen (S. 199–234). Die Studie endet mit einer englischen Zusammenfassung (S. 240–243) und einem recht knappen Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 246–260), das sich weitgehend auf einschlägige und unabdingbare Publikationen beschränkt. Die vom Verlag gewählte sehr kleine Schrift ist etwas gewöhnungsbedürftig.

Im Zentrum der Untersuchung stehen, neben den Werken des Gregor von Tours und den Gedichten des Venantius Fortunatus, das weltliche und kirchliche Recht sowie biblische und patristische Texte. Das erste Kapitel schliesst die begriffsanalystische Studie einschlägiger Terminologie ein, allen voran caritas, egens und pauperes, um so nach der zeitgenössischen Konzeption von Armenfürsorge zu fragen. Der Armutsbegriff wird am Beispiel der Werke des Gregor von Tours und des Fortunatus untersucht, deren Konzeption, bedingt durch deren unterschiedliche Ausrichtung und Zielsetzung, recht verschieden ausfällt. Hervorzuheben ist, dass caritas vor allem gemeinschaftliche Unterstützungsleistungen mit identitätsstiftender Funktion bezeichnete und sich somit, streng genommen, nicht auf die Armenfürsorge bezog. Die Gruppe der als «arm» bezeichneten Personen umfasste aber nicht nur Bettler sowie Alte und Kranke ohne Erwerbsmöglichkeit, sondern auch Personen in einer Notlage.

Das längste und zentrale zweite Kapitel bezieht eine breite Palette an Quellen ein, darunter die Patristik, das Kirchenrecht und Synodalakten, welche besonders viele einschlägige Einträge enthalten. Die vorstellungsgeschichtliche Herangehensweise ermöglicht es, Armut und Fürsorge aus Sicht der vorhandenen Quellen zu deuten und so gezielt nach der Perspektive der Quellenautoren zu fragen. Die Untersuchung zeigt auf, dass den Quellen ein einheitlicher Armutsbegriff fehlt, nicht zuletzt da die aus den einzelnen Schriften hervorgegangene Konzeption recht unterschiedlich sein konnte. Selbst die Gefangenenbefreiungen, welche nicht zwingend mit Armenfürsorge in Verbindung zu bringen sind, konnten in diesem Rahmen als bischöfliche Aufgabe verstanden werden. Dabei habe vor allem die Bibel als potenzielle Vorlage für Handlungsabläufe gedient, wie einzelne Formulare und Einträge im Rahmen des Kirchenrechts bestätigen. So lässt sich die bischöfliche Armenversorgung als Versuch deuten, biblische Ideale in die Gegenwart zu übertragen und zu leben.

Im Vordergrund der Armenfürsorge standen aber nicht nur die Versorgung der schwächsten Glieder der Gesellschaft, sondern immer wieder auch das Ansehen der Kirche und das ihres Episkopats. Das flexible Armutsverständnis ermöglichte es, bischöfliche Zuwendungen an aktuelle Gegebenheiten oder eigene Ziele anzupassen. So ermöglichte zum Beispiel die besonders offene Armutskonzeption bei Gregor von Tours, die episkopale Armenfürsorge durch eine Ausweitung des bischöflichen Kompetenzbereichs hervorzuheben und in Krisenzeiten auch die Sicherstellung der Grundversorgung breiter Bevölkerungsteile in diesem Rahmen zu rechtfertigen. Die Almosen und andere Formen der Versorgung wurden vorwiegend von der Kirche selbst aufgebracht, was es ausserdem ermöglichte, das Gut der Kirche als Gut der Armen zu definieren und somit zumindest moralisch vor Übergriffen zu schützen.

Die Arbeit von Zimmermann ist stringent geschrieben, bietet neue Einblicke in ein bekanntes Feld und weist im Detail zuweilen auch Unerwartetes auf. Die Ergebnisse gliedern sich nahtlos in die aktuelle Forschung zum Thema ein.

Zitierweise:
Sarti, Laury: Rezension zu: Zimmermann, Philipp: Armut und Bischofsherrschaft. Bischöfliche Fürsorge in der Merowingerzeit, Ostfildern 2022. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 73(2), 2023, S. 203-204. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00127>.